Zeitpolitik

Auszug aus unserem Landtagswahlprogramm:

„Lebenswerte Städte und Kommunen für alle Attraktive Städte und Gemeinden mit einer vielfältigen, modernen Infrastruktur und viel Grün zur Erholung tragen auch zu mehr Familien- und Generationsgerechtigkeit bei und sind ein Türöffner für die Inklusion. Das Ausrichten der Infrastruktur an den Bewohner*innen muss auch die Perspektive von Kindern, Senior*innen und Menschen mit Behinderungen mitdenken. Unser Ziel ist es, dass innerhalb einer Stadt Schleswig-Holsteins alle Dinge, die Menschen für ein gutes Leben in der Stadt benötigen, innerhalb von 15 Minuten erreichbar sind. Von der Nahversorgung über Betreuungsangebote bis hin zu Ärzt*innen und Fachgeschäften. Um die Lebensqualität der Bürger*innen zu verbessern, brauchen wir eine Politik, die die Zeit in den Blick nimmt und Maßnahmen ergreift, um zeitliche Abläufe und räumliche Organisation im Alltag miteinander abzustimmen. Wir wollen unsere Kommunen dabei unterstützen, Maßnahmen umzusetzen, die eine Entschärfung von Zeitkonflikten und eine gerechtere Verteilung zeitlicher Ressourcen zum Ziel haben. Hierfür sollen für einen Zeitraum von zwei Jahren Mittel für ein Aktionsprogramm zu kommunaler Zeitpolitik bereitgestellt werden, mit dessen Hilfe regionale Handlungsfelder identifiziert werden und ein Konzept zur anschließenden Einführung von sogenannten Zeitbeauftragten / Zeitbüros in den Kommunen erarbeitet wird.“

Abschluss der Zeitpolitiktour

Die Abschlussveranstaltung des Projekts Lebenszeit 4.0 war auch mein letzter Termin der Zeitpolitiktour #zeitgerecht. Über das Projekt könnt Ihr Euch unter anderem hier informieren.

Auf der Abschlussveranstaltung in Flensburg ging es zeitpolitisch mit Vorträgen und Workshops ans
Eingemachte. Zeitstress sowie deren Vermeidung in der Arbeitswelt waren der Ausgangspunkt des Projektes. Auch die Themen Zeitdruck und andere physische Belastungen bei der Arbeit und im Privatleben (Familie, ÖPNV, Öffnungszeiten) wurden beleuchtet. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurde am Beispiel von Flensburger Betrieben erforscht. Dabei zeigte sich zum Beispiel deutlich, dass Alleinerziehende mehr #Zeitgerechtigkeit brauchen, um so arbeiten zu können, dass sie nicht aufstocken müssen. Auch zeigte sich deutlich, dass das „modernisierte bürgerliche Familienmodell“ (Vater-Mutter-Kind und Papa ist der Hauptverdiener) durch die Rahmenbedingungen der starren Betreuungszeiten begünstigt wird. Auch hier würde uns also eine Flexibilisierung der Betreuungszeiten helfen, feministische Familienbilder voranzubringen.

Auf der Tour habe ich ja bereits zwei KiTas besucht, die hier mit gutem Beispiel vorangehen. Eine davon, die KiWi in Flensburg, war auch Teil des Projektes Lebenszeit 4.0. Zeitgerechte Modelle für Schulkinder gibt es beispielhaft auch in der dänischen Minderheit und deren Sydslesvigs danske Ungdomsforeninger. Hier ist die Kinderbetreuung dreigliedrig bis zum Jugendalter.

Mein Resümee: Zeitknappheit ist ein reales Problem und dieses verdichtet sich in der Rushhour des Lebens besonders. Reduktion von Zeitkonflikten trägt zur Lebens- und Standortqualität bei. Wir müssen es schaffen unsere Chronobiologie besser mit unserem Alltag zu harmonisieren. In diesem Sinne mache ich für heute Feierabend und hänge etwas mit der Familie herum 😀

Flexible KiTa-Zeiten – Besuch bei zwei 24-Stunden-KiTas in Flensburg

Für die Zeitpolitiktour war ich mit Ellen Kittel-Wegner und unserem Praktikanten Stefan Veenendaal in Flensburg unterwegs und habe zwei KiTas besucht, die weit flexiblere Öffnungszeiten haben, als oft übliche.

Die KiTa Kapernaum des Krankenhauses Diako ist eine Betriebskita. Im Krankenhaus gibt es sehr viele verschiedene Dienstbeginnzeiten und somit sehr viele verschiedene Bedürfnisse, auf die man sich hier eingestellt hat. Die normale Öffnungszeit der KiTa ist von 6 bis 18 Uhr. Natürlich bleiben die Kinder nicht zwölf Stunden lang dort. In der Woche verbringen die Kinder allerhöchstens 50 Stunden in der KiTa. Diese Stundenzahl wird auch eingehalten, wenn die Kinder gelegentlich wegen Nachtschichten ihrer Mütter hier übernachten. Diese Nachtbetreuung ist in Deutschland noch eine Besonderheit. Um sie anbieten zu können musste die Kita so manche bürokratische Hürde nehmen und wird über KitaPlus durch Bundesmittel gefördert.

Die gesellschaftliche Akzeptanz für die Mütter, die ihre Kinder zur Nachtbetreuung anmelden, muss erst einmal wachsen. In der Anfangszeit sind tatsächlich Mütter von dem Angebot wieder abgesprungen, weil sie massiv als Rabenmütter bezeichnet wurden. Dazu ist auch dieser Bericht des NDR sehenswert. Derzeit werden von den fünf Nachtbetreuungsplätzen zwei in Anspruch genommen.

KiTa KiWi von Adelby1

Die KiTa KiWi von Adelby1 ist eine betriebsnahe KiTa. Das bedeutet, dass Unternehmen hier einzelne KiTa-Plätze einkaufen können. Gerade für Unternehmen mit Arbeitszeiten, die nicht zu üblichen KiTa-Zeiten passen, ist das eine gute Option. Das zeigen auch die breit gefächerten Unternehmen, die an der KiTa beteiligt sind. Die Öffnungszeiten von 5:30 bis 21:30 von Montag bis Samstag mit Fachpersonal zu besetzen, geht nur mit einer finanziellen Beteiligung der Unternehmen an der KiTa. Natürlich bleiben die Kinder auch hier nicht den ganzen Tag. Die durchschnittliche Betreuungszeit liegt pro Kind und Tag bei 6,75 Stunden. Diese können allerdings dann gelegt werden wann die Eltern sie auch wirklich brauchen. So kann beispielsweise die Arbeitszeit in einer Eisdiele ebenso abgebildet werden, wie die in einer KfZ-Werkstatt. Auch hier wird es bald die Möglichkeit geben, die Kinder auch mal übernachten zu lassen. Und auch hier hofft man darauf, dass die Möglichkeit der Nachtbetreuung als Chance gesehen wird, die Kinder in gewohnter Umgebung gut betreut zu wissen.

Um mehr Arbeitnehmer*innen und Eltern allgemein die Möglichkeit zu geben, ihren Beruf auch dann mit der Familie zu vereinbaren, wenn die Arbeitszeiten sich nicht der KiTa anpassen können, müssen wir die Möglichkeiten flexibler Öffnungszeiten mit in die KiTa-Planung einbeziehen. Das gilt sowohl finanziell als auch baulich. Viele der Berufe in der Pflege und im Blaulichtbereich bleiben sonst weiter davon betroffen, dass junge Eltern aus diesen wichtigen Berufen aussteigen.

Gespräch mit einer Zeitbeauftragten

Mit Silvia Profanter, der Zeitbeauftragten aus Bozen, hatte ich einen „Ortstermin“ zur Zeitpolitik am Telefon. Südtirol ist dann doch ein bisschen weit weg, um einfach mal vorbeizuschauen.

In Italien – und speziell in Bozen – ist Zeitpolitik schon lange ein Alltagsthema. Ganz praktisch koordiniert Frau Profanter mit ihrem Team beispielsweise die Kinderbetreuung am Nachmittag und in den sehr langen Sommerferien. Auch zur Koordination der Schulzeiten unter den einzelnen Schulen sowie der Abstimmung mit dem ÖPNV trägt sie bei. Die Arbeitszeiten für die eigene Verwaltung und auch die Öffnungszeiten für den Publikumsverkehr werden immer wieder durch sie überprüft und angepasst. Auch mit anderen Institutionen wie Ärzt*innen, insbesondere Kinderärzt*innen, ist sie über die Jahre ins Gespräch gekommen und konnte so zu einem besseren Miteinander beitragen. All das kostet die Stadt Bozen lediglich die 1,5 Stellen für die Zeitbeauftragten.

Dass Zeit eine harte Währung sein kann, zeigt sich in Italien auch an den Zeitbanken. Diese werden von den Städten verwaltet und wie ein Verein geführt. Jede*r kann dort Stunden einstellen und auch nutzen. So wird Nachbarschaftshilfe Geldleistungen vermittelt. Hier könnt Ihr Euch über das Angebot ansehen.

Was Zeitpolitik angeht, können wir uns hier von italienischen Kommunen eine Menge abgucken. In Zeit zu investieren, kann sich auch und gerade für klamme Kommunen auszahlen.

Besuch in der Rettungswache Pinneberg-West

Auf der Zeitpolitiktour waren Daniela Hartmann vom OV Pinneberg, unsere Praktikantin Sophie und ich diese Woche zu Besuch in der Rettungswache Pinneberg-West der Rettungsdienst-Kooperation in Schleswig-Holstein (RKiSH). Wir kamen dort ins Gespräch mit Angela Hoyer, der Fachbereichsleiterin Personalmanagement und Kommunikation, Herrn Johannes Schulte, dem stellvertretenden Abteilungsleiter Betriebsorganisation, und dem Wachenleiter Herrn Sebastian Kubo.

Der Ausgangspunkt des Gesprächs war die Frage, wie eine 48-Stunden-Woche mit 12-Stunden-Schichten mit dem Privat- und Familienleben vereinbar ist. Mit der Schichttaktung selbst sind die Mitarbeiter*innen durchaus einverstanden. Sie schafft neben viel nötiger Planung auch Flexibilität. Gerade für Eltern ist die Arbeit im Rettungsdienst allerdings eine Herausforderung. KiTa-Zeiten passen nicht zum Rettungsdienst. Hier sind die normalen Dienste von 7 bis 19 und von 19 bis 7 Uhr. Sicher ist dabei nur der Schichtbeginn. Logischerweise lässt niemand einen Rettungswagen mit Patientin irgendwo stehen, fährt pünktlich zur KiTa und kommt am folgenden Tag wieder.

Ein KiTa-Beginn ab 6 Uhr wäre also sehr hilfreich. Ebenso würden weniger starre Abholzeiten oder verteilbare Stundenkontingente den Eltern helfen. Auch eine Möglichkeit, die Kinder dann und wann in der KiTa übernachten zu lassen, wäre eine Entlastung. Alleinerziehende könnten so den Beruf im Rettungswagen weiter ausüben.

Menschen im Rettungsdienst zu halten ist fast ebenso wichtig, wie sie für eine Ausbildung hier zu begeistern. Derzeit ist Notfallsanitäter*in in Schleswig-Holstein ein Mangelberuf. Da es in vielen Berufen im Bereich Medizin und Blaulicht ähnlich aussieht, täten Städte gut daran, solche KiTas anzubieten.
Dass die KiTa stets im Heimatkreis des Kindes liegen muss, erschwert übrigens die Suche nach einem passenden KiTa-Platz zusätzlich. Und auch in Richtung Schule müssen wir weiterdenken. Die beiden Väter schwärmten übrigens auch von den Vorteilen, die es mit sich bringt, am Tag nicht zu arbeiten und Zeit für die Kinder zu haben.

Es ging uns natürlich nicht nur um die Eltern. Jeder hat ja das Bedürfnis, die Arbeitszeiten so zu legen, dass sie zum Leben passen. Beim RKiSH arbeiten daher Arbeitszeitgestalter*innen, die sich gemeinsam mit Wachenleitung und Mitarbeiter*innen um die Gestaltung der Dienstpläne kümmern. Im November wird der Dienstplan für das nächste Jahr erstellt. Das sorgt für Verlässlichkeit. Trotzdem kommt das Unvorhersehbare immer unvorhersehbar und auch dann werden die Arbeitszeitgestalterinnen tätig. So können meisten Wünsche erfüllt werden. Manchmal auch auf einer anderen Wache.

Das Fazit lautet: Dem Fachkräftemangel kann man nur mit zufriedenen Mitarbeiter*innen begegnen.

Was würde also die Mitarbeiterinnen zufriedener machen? Beim RKiSH könnte man sich gut vorstellen, Gemeindenotfallsanitäterinnen mit mehr eigener Verantwortung vor Ort im Einsatz zu haben und nicht immer und zu jedem mit der rollenden Intensivstation Krankenwagen fahren zu müssen. In Oldenburg gibt es dazu ein Pilotprojekt, dass ich im Auge behalten werde. Dazu würde auch ein präklinisches Casemanagement und der Einsatz von Telemedizin gehören. Klingt hochtechnisch, würde aber der Patientin oder dem Patienten vermutlich oft mehr bringen, als jedes Mal das Notfallpaket anrollen lassen zu müssen.

Alles in allem war es also ein hochinteressanter Termin, an dessen Ende wir noch die nagelneue Wache in Pinneberg-West besichtigen durften. Die Halle war gerade übersichtlich leer. Alle 4 Fahrzeuge waren im Einsatz und nur das Ersatzfahrzeug da.

Zeitgemäßer Schulbeginn

Warum fängt die Schule in Deutschland eigentlich so früh an?

Mit Wilfried Bock vom Gymnasium in Alsdorf habe ich zu dieser Frage telefoniert. Die Schule unterrichtet nach dem Dalton Konzept. In diesem gibt es an jedem Schultag drei selbstgesteuerte Lernphasen, in der die Schüler*innen Aufgaben und Lehrkraft nach einem Plan selbst aussuchen. In dieses Konzept hat die Schule für die Oberstufenschüler*innen eine Gleitzeit eingebaut.

Gerade Pubertierende kommen abends oft nicht wirklich zur Ruhe und sind dann morgens nicht fit. Das liegt hauptsächlich daran, dass der Melatoninspiegel bei vielen Jugendlichen abends noch sehr hoch ist – bis 22 Uhr oder auch später. Die Schlafdauer, die ein Mensch braucht, ist genetisch vorgegeben. Wer also abends nicht in den Schlaf findet, wird morgens aus ebendiesem gerissen.

Am Gymnasium Alsdorf ist es für die Oberstufe nicht verpflichtend, die sogenannte Daltonstunde in der ersten Schulstunde zu besuchen. Diese kann beispielsweise auch in eine Freistunde gelegt werden. Das erfordert ein bisschen Planung, tut aber denen gut, die erst später fit sind. Manche kommen morgens immer zur nun ruhigen ersten Stunde, manche kommen immer erst um 9 Uhr. Andere wiederum halten es flexibel. Übrigens finden es auch einige Lehrer*innen gut, später beginnen zu können – manche so, andere so.

Das Ganze bezeichnet Herr Bock als echte Gewinnsituation für Schüler*innen, Lehrer*innen und auch für die Busunternehmen und Busfahrer*innen. Schulbeginnzeiten zu entzerren entstresst viele.

Auf der Seite der Schule gibt‘s unter weitere Erklärungen und Videos.

Hier in Schleswig-Holstein können die Schulen den Schulbeginn entscheiden. Schulen, die sich auf den Weg zur Gleitzeit machen möchten, steht das Gymnasium Alsdorf mit Rat zur Seite. Ich würde einen flexibleren Schulbeginn am Morgen sehr begrüßen. Wache Köpfe für Eulen und Lärchen sind #zeitgerecht